Nachahmung und Nachfolge

Ausführlicherer Auszug aus dem Buch 'Ein Rabbi spricht mit Jesus' von Jacob Neusser:

    Denn im Alltagsleben nach der Thora bedeutet der Sabbat Höhepunkt und Erfüllung. Des Sabbats gedenken und ihn heilig halten war damals und ist heute, was das ewige Israel gemeinschaftlich tut. Dieser Tag macht das ewige Israel zu dem, was es ist, zu dem Volk, das sich wie Gott nach der Schöpfung am siebten Tage von seiner Schöpfung ausruht. Der Sabbat hat einen positiven und einen negativen Aspekt. Am Sabbat dürfen wir keine niederen Arbeiten verrichten, denn an diesem Tag feiern wir die Schöpfung. Sechs Tage stellen wir Dinge her, am siebten würdigen wir sie. ....

    Denn am Sabbat nicht zu arbeiten bedeutet mehr, als ein Ritual peinlich genau zu erfüllen. Es ist eine Art Nachahmung Gottes. Gott ruhte am siebten Tag und erklärte ihn für heilig. (Genesis 2,1-4) Und dies sagt uns, warum wir, das ewige Israel, am Sabbat ruhen, ihn genießen und als heiligen Tag begehen. Wir tun am siebten Tag, was Gott am siebten Tag der Schöpfung getan hat. ....

    Aber eines der Zehn Gebote lautet: »Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! ...Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und ein Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt.« Wenn wir uns nun bewußt sind, daß wir den Sabbat halten sollen, weil Gott am Sabbat geruht hat, dann sehen wir, daß wir dieses Gebot befolgen sollen, damit wir Gott ähnlich werden. ....

    So wundert es dann gar nicht, wenn man den Sabbat als eine Gabe Gottes an die Menschheit betrachtet hat: Gott braucht keine Ruhe, aber wir brauchen sie.

    »Und er ruhte am siebenten Tage. Gibt es denn vor ihm (Gott) Ermüdung, es heißt ja bereits (Jesaja 40,28): >Nicht wird er matt und nicht wird er müde<, ferner (Jesaja 40,29): >Er gibt dem Matten Kraft<, ferner (Psalm 33,6): >Durch das Wort des Ewigen sind die Himmel gemacht worden<, was besagt also: >Und er ruhte<? Allein wenn man so sagen könnte, er schrieb über sich selbst, daß er seine Welt in sechs Tagen erschaffen und am siebenten geruht hat. Siehe, die Dinge (ergeben) keinen Schluß vom Leichten auf das Schwere: Er, von dem es kein Ermüden gibt, schrieb über sich selbst, daß er seine Welt in sechs (Tagen) erschaffen und am siebenten geruht hat, um wieviel mehr [ist es nötig, daß] ein Mensch, von dem es [in Hiob 5,7 heißt, er sei] zur Mühsal geboren [am Sabbattag ruhe].«
    (Mechiltha,  7. Abschn., 20,n)

    Diese Aussagen vermitteln uns einen Eindruck von den verschiedenen Aspekten des Sabbattages. Im Sabbat, so sehen wir, fließen Himmel und Erde zusammen, vereinigen sich Gott und die Menschheit, und dabei ahmt die Menschheit Gott auf eine sehr konkrete und ganz besondere Weise nach. ....

    Was muß ich der Thora zufolge tun, um Gott nachzuahmen, um zu werden wie er?

    Eine Antwort finde ich in den genauen Ausführungen unserer Gelehrten darüber, was wir tun sollen, um Gott nachzuahmen, wie Gott zu sein oder heilig wie Gott zu sein.

    So deuteten unsere Gelehrten aus früheren Zeiten die folgenden entscheidenden Verse:

    »Du sollst dich nicht rächen [oder keinen Haß in deinem Herzen tragen]:
    Wo fängt Rache an? Wenn einer ihm sagt: >Leih mir deine Sichel<, und der andere es nicht tut. Am nächsten Tag sagt der andere zu ihm: >Leih mir deinen Spaten. < In diesem Zusammenhang steht geschrieben >Du sollst dich nicht rächen< oder >keinen Haß in deinem Herzen tragen<. Wo fängt Haß an? Wenn einer zu ihm sagt: >Leih mir deinen Spaten, aber er es nicht tut. Wenn der andere am nächsten Tag zu ihm sagt:
    >Leih mir deine Sichel<, und der andere erwidert: >lch bin nicht wie du, denn du hast mir deinen Spaten nicht geliehen [aber hier ist die Sichel]!<
    In diesem Zusammenhang heißt es: >Du sollst in deinem Herzen keinen Haß tragen.< Vielmehr sollst du >deinen Nächsten lieben wie dich selbst: [Ich bin der Herr]:< Rabbi Akiba sagt: >Dies ist das umfassende Prinzip der Thora.<«

    (Sifra CC, 111, 4, 5 u. j)

    Heilig sein wie Gott bedeutet, keine Rache üben, nicht einmal in Worten, und dem anderen nicht vorhalten, daß ich nicht schäbig gehandelt habe wie er. Die Erklärung ist uns in vielerlei Hinsicht vertraut. Der Hinweis erinnert schließlich an Jesu Botschaft: Wenn uns die Thora das Töten verbietet, dürfen wir nicht einmal zornig werden. Gott lieben heißt: mehr geben als verlangt. Akiba begreift das Gebot »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« als Höhepunkt und Schlußfolgerung, als das große Gebot und das allumfassende Prinzip der Thora.

    Und dies führt zur nächsten Frage. Was genau bedeutet es dann, »zu sein wie Gott«? Eine mögliche Antwort lautet folgendermaßen:

    »Abba Saul sagt: >O versuche zu sein wie er: So wie er gnädig und barmherzig ist, sei auch du gnädig und barmherzig< [denn es heißt: >]ahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott.<«
    (Exodus 34,6) (Mechiltha, XVII,II,3)

    Sein wie Gott bedeutet die Gnade und Barmherzigkeit Gottes nachahmen: Dadurch wird Gott zu dem, was er ist, und mit beidem können wir uns Gott gleich machen. Wie Gott sein bedeutet folglich sehr menschlich sein, aber menschlich auf ganz besondere Weise: Schließlich gibt uns Gottes Gnade die Kraft, barmherzig und gnädig zu sein, seine Gnade, aber auch sein Vorbild. ...

    Und es gibt eine weitere Übereinstimmung. Im folgenden Passus wirft ein Gelehrter die Frage auf, wie wir Gott nachfolgen oder wie Gott sein können: Was bedeutet es, heilig zu sein oder zu sein wie Gott? Die Antwort lautet: Gott nachahmen heißt die Dinge tun, die Gott tut, so wie die Thora seine Taten schildert:

    »Ferner sagte Rabbi Hatna ben Rabbi Hanina: Es heißt: dem Herrn, eurem Gott, sollt ihr folgen. (Deuteronomium 13,5) Ist es denn einem Menschen möglich, der Göttlichkeit zu folgen, es heißt ja: denn der Herr, euer Gott, ist ein verzehrendes Feuer!? (Deuteronomium 4,2.4) Vielmehr {lehrt dies], daß man den Handlungen des Heiligen, gepriesen sei er, folge. Wie er die Nackten kleidet, wie es heißt: und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Hautröcke und bekleidete sie (Genesis 3,21), so kleide auch du die Nackten. Wie der Heilige, gepriesen sei er, Kranke besucht, wie es heißt: und der Herr erschien ihm unter den Terrebinthen Mamres (Genesis 18,1), so besuche auch du die Kranken. Wie der Heilige, gepriesen sei er, Trauernde tröstet, wie es heißt: und es geschah nach dem Tode Abrahams, da segnete Gott seinen Sohn Isaak (Genesis 25,11), so tröste auch du die Trauernden. Wie der Heilige, gepriesen sei er, Tote begräbt, wie es heißt: und er begrub ihn im Tale (Deuteronomium 34,6), so begrabe auch du die Toten.«
    (Der Babylonische Talmud, Sota)

    Um heilig zu sein wie Gott, muß ich folglich die Nackten kleiden, die Kranken besuchen, die Trauernden trösten und die Toten begraben: »Meinen Nächsten lieben wie mich selbst«. Auch dies sind sehr menschliche, liebevolle Züge. Nicht umsonst heißt es in der Thora, wir seien geschaffen nach Gottes Ebenbild:

    »Gott schuf also den Menschen nach seinem Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.«
    (Genesis 1,2.7)

Soweit die Ausführungen von Jacob Neusser über das jüdische Verständnis der Nachahmung.

 

nach oben

Linie1 5x800b

 

Bibel lesen - aber wie?

Schriftrolle

 

Katechismus

 

Gebet und Anbetung

Gebet und Anbetung-175