Opfer und Opferverständnis

Das Kreuzesopfer von Jesus Christus ist im Christentum von zentraler Bedeutung, so wie auch das Kreuz zu dem Symbol des Christentums geworden ist. Jesus von Nazareth ist am Kreuz für die Sünden der Menschen, ja der ganzen Welt gestorben, er ist für uns gestorben, hat sein Blut für uns vergossen und darin den Willen des Vaters erfüllt.

    ... wieviel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst kraft ewigen Geistes Gott als makelloses Opfer dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen.
    (Hebr 9,14)

    ... und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und als Opfer, das Gott gefällt.
    (Eph 5,2)

    ... denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift.
    (1.Kor 15,3)

Wir Christen verkünden dieses Ereignis und sprechen dabei vom Opfer, das Jesus für die Welt und jeden einzelnen Menschen gebracht hat, und dass Gott gerade darin seine Liebe zu uns Menschen, seinen Geschöpfen, erwiesen hat.

Vielen Menschen und auch Christen erscheinen diese Aussagen jedoch widersprüchlich, denn wie kann ein liebender Gott verlangen, dass ihm sein eigener Sohn geopfert wird, um vergeben zu können? Wie passt das zusammen? Wie ist dieses Opfer von Jesus am Kreuz zu verstehen? Und welche Opfer bringen wir Christen unserem Gott dar? Um das beantworten zu können betrachten wir den Opferbegriff genauer, denn unter dem Wort 'Opfer' kann man sich verschiedene Dinge vorstellen.

Der Lautform nach stammt das deutsche Wort 'opfern' von 'operari' ab, das bedeutet 'arbeiten, verrichten, pflegen, bearbeiten' u.ä., aber auch 'Almosen geben'. Der Bedeutung nach ist es sicherlich auch beeinflusst von 'offere', das 'darbringen' bedeutet. Diese Erklärungen zur Wortherkunft helfen aber noch nicht wirklich weiter.

Für das Opferverständnis gibt es drei wichtige Unterscheidungen, nämlich das Opfer im allgemeinen Sinn, im heidnisch-rituellen Sinn und im jüdisch-christlichen Sinn.

Opfer in allgemeinen Sinn:

Wenn z. B. ein Feuerwehrmann bei dem Versuch, Menschen das Leben zu retten selber ums Leben kommt, dann hat dieser Mensch sich geopfert, aber nicht rituell, sondern in seinem wirklichen Tun. Auch Kinder, welche z.B. ihre kranken Eltern pflegen und dabei auf ihr eigenes Leben (Karriere, Freizeit) zum Teil verzichten, opfern sich auf. Es kann auch sein, dass jemand sein Leben einem bestimmten Ziel widmet, und von einem Opfer in diesem Zusammenhang spricht man dann, wenn dieses Ziel uneigennützig ist, d.h. anderen dient. Die wesentlichsten menschlichen Inhalte dieser 'Opfer im allgemeinen Sinn' sind: Hingabe und Verzicht zugunsten von anderen.

Aber auch wenn Menschen von etwas betroffen sind, wofür sie selber zumindest direkt nicht verantwortlich sind, sprechen wir von Opfern. Dies können Tote oder Verletzte durch eine Unfall oder eine Katastrophe sein, oder jemand fällt einem Verbrechen oder einer Krankheit 'zum Opfer'.

Opfer in heidnisch-rituellen Sinn:

Solche Opferhandlungen beinhalten in aller Regel eine Opfergabe, welche durch Menschen einem unsichtbaren, höheren Wesen dargebracht (geopfert) werden. Die Absicht dabei ist entweder die Ernährung der Gottheit(en), oder durch den 'Wert' des Opfers die angerufenen Wesen oder Mächte günstig zu beeinflussen oder gnädig zu stimmen usw. Alle an einer solchen Opferhandlung teilnehmenden Menschen wissen dabei, worum es bei solch einem Ritual geht. Häufige Anliegen sind die Bitte um Fruchtbarkeit (z.B. für die Ernte, aber auch für Tiere und Menschen), Schutz vor Naturgewalten, Schutz und Hilfe bei Krankheit oder in anderen Gefahren, oder auch Dank. Es geht also grundsätzlich darum, durch den 'Wert' des Opfers auf die Gottheit(en) einzuwirken, sie zu beeinflussen, zu stärken oder auch zu manipulieren. Aus christlicher Sicht spricht man von 'heidnischen Werteopfern', denn das jüdisch/christliche Opferverständnis unterscheidet sich grundlegend von dem hier beschriebenen heidnischen Verständnis.

Opfer im jüdisch-christlichen Sinn:

Martin Buber und Franz Rosenzweig haben in der Verdeutschung des alten Testamentes das hebräische Wort 'korban' nicht wie sonst üblich mit 'Opfer', sondern mit dem Begriff 'Nahung' übersetzt. Durch diese Übersetzung zeigt sich das jüdische Verständnis des Opfers: Das Opfer zeigt einen Weg auf, den der Mensch zu gehen hat, wenn er sich seinem Gott nahen will. Das Zelt, welches die Israeliten auf göttliche Anordnung in der Wüste errichtet haben, wurde auch 'Offenbarungszelt' oder 'Begegnungszelt' genannt – der Ort der Begegnung, des Näherkommens zwischen Gott und Mensch. Die Nahung zwischen Gott und Mensch, die Überwindung der Trennung zwischen Schöpfer und Schöpfung, ist ja Sinn und Ziel des jüdischen wie auch des christlichen Glaubens, das Opfer zeigt dabei den Weg auf und ist auch selbst der Weg.
 

Die Vermischung bzw. Unkenntnis dieser unterschiedlichen Opferverständnisse ist eine der Hauptursachen für die verdrehten und verfälschten Vorstellungen über das Opfer Jesu, und auch über die Opfer, welche in der Kirche dargebracht werden.

In der Opferhandlung und im Opferverständnis widerspiegeln sich die Glaubensvorstellungen der Menschen über die Gottheit(en), welchen sie die Opfer darbringen. Darum führt ein falsches Opferverständnis zwangsläufig auch zu einer falschen Gottesvorstellung und umgekehrt!

Bei heidnischen 'Werte-Opfern' geht es sehr oft darum, die Gottheit(en) zu besänftigen, sie dem Menschen gegenüber gnädig zu stimmen. Dies bedeutet, dass die Gottheit(en) dem Menschen gegenüber ablehnend oder zumindest gleichgültig gegenüberstehen, und dass deren Zuneigung durch 'Werte-Opfer' erkauft werden kann. Einem Gott, von dem man sagt, dass er 'die Liebe sei', wie es im jüdisch-christlichen Glauben der Fall ist, ein 'Werte-Opfer' darzubringen, um ihn gnädig zu stimmen, macht also gar keinen Sinn. Wenn Gott dem Menschen wohlwollend gegenüber steht und dem Menschen sowieso nur Gutes will, bedarf es von Seite der Menschen keines 'Werte-Opfers', im Gegenteil, es wäre eher eine Beleidigung.

Unter uns Menschen ist es doch ebenso: Liebe und Zuneigung können wir uns nicht kaufen oder verdienen, denn gekaufte Freunde sind keine echten Freunde. Die Liebe und Zuneigung unserer Mitmenschen uns selbst gegenüber können wir annehmen oder ablehnen, wir können sie durch eigenes Verhalten dämpfen oder fördern, aber nicht kaufen. Echte Liebe ist nicht käuflich, sondern sie ist immer ein Geschenk. Auch die Liebe Gottes zu uns Menschen ist ein Geschenk, das wir annehmen oder ablehnen können, aber verdienen oder kaufen können wir uns diese Liebe nicht. Apostel Paulus schreibt über diese vollkommene Liebe Gottes zu uns Menschen:

    Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.
    (Röm 5,8)

Jesus hat sein Leben für andere dahin gegeben. Diese vollkommene Hingabe, seine Bereitschaft, sich für andere 'zu opfern', darf jedoch nicht als ein Menschenopfer im heidnisch-rituellen Sinn verstanden werden. Sein Leiden und Sterben am Kreuz war keine rituelle Opferungs-Handlung, sondern die Hinrichtung eines Aufständischen durch die römische Besatzungsmacht. Jesus starb diesen grausamen Tod um seines Zeugnisses willen. Seine Bereitschaft, durch sein eigenes Sterben den Tod für uns zu überwinden (durch die Auferstehung), offenbart seine Liebe zu uns Menschen.

Wie auch Jesus selber sagte:

    Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.
    (Joh 15,3)

 

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